Finale Berlin by Heinz Rein

Finale Berlin by Heinz Rein

Autor:Heinz Rein
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Schöffling & Co.
veröffentlicht: 2014-12-04T00:00:00+00:00


II

17. April

Irmgard Lassehn geborene Niedermeyer tritt ein, mittelgroß, von schlanker Fülle, sicher und selbstbewußt, sie trägt über dem Schlafanzug einen bunten Morgenrock, aber sie ist sorgfältig frisiert und hat auch Puder und Lippenstift nicht vergessen, die hohen Bögen über den Augenbrauen sind fein nachgezogen.

Lassehn erhebt sich wie von Marionettenschnüren emporgezogen und starrt ihr ins Gesicht. Das ist also die Frau, seine Frau. Ein seltsam vielfältiges Gefühl bemächtigt sich seiner, Erstaunen, Hilflosigkeit, Abwehr, Fremdheit, er durchforscht die Vielfalt der Gefühle, aber eines kann er nicht entdecken: Zärtlichkeit. Nein, Zärtlichkeit ist nicht dabei. Vorhin, als er vor der Wohnungstür stand, hat die Erinnerung sein Blut in Wallung gebracht, jetzt ist nur Fremdheit da. Das ist eine ganz fremde Frau. Sie sieht ihn mit kühlem Blick und sachlich-freundlicher Miene an und schließt mit gemessenen Bewegungen die Tür hinter sich, nachdem sie Frau Niedermeyer mit einer kurzen Bewegung der Augenbrauen dazu aufgefordert hat, das Zimmer zu verlassen.

»Heil Hitler!« sagt sie und hebt die rechte Hand leicht zum Gruße. »Bitte, behalten Sie Platz!«

Sie erkennt mich tatsächlich nicht, durchfährt es Lassehn, auch jetzt nicht, da ich ihr gegenübersitze und ihren Blicken voll ausgesetzt bin.

»Sie bringen Nachricht von meinem Mann?« fragt Irmgard Lassehn, ihre Stimme ist ruhig, fast unbewegt, keine Erregung der Ungewißheit schwingt in ihr.

»Ja«, sagt Lassehn mit gepreßter Stimme, sein Herz hämmert wild gegen die Brust. Sie fragt so unbewegt und sachlich, als handle es sich um ein Kolli, nach dessen Verbleib sie an einem Gepäckschalter fragt.

»Und was ist mit ihm?« Keine Ungeduld ist in ihrer Stimme, ihr schönes, schmales Gesicht unter der hauchdünnen Schicht bronzefarbenen Puders ist noch immer unbewegt.

Lassehn weiß immer noch nicht, was er will, irgend etwas in ihm ist dagegen, sich jetzt schon erkennen zu geben, es reizt ihn wie ein Weg ins Ungewisse. »Ihr Mann lebt«, sagt Lassehn und vermeidet ihren Blick, der forschend auf ihm liegt.

»Wo ist er gegenwärtig?« fragt Irmgard Lassehn.

»Ganz in der Nähe«, antwortet Lassehn doppelsinnig.

»Und weshalb kommt er nicht selbst?« forscht sie weiter, ihre Stimme ist um weniges lebhafter geworden. »Ist er verwundet oder welche anderen Gründe hindern ihn?«

»Das ist nicht ganz einfach zu erklären«, weicht Lassehn aus, er will Zeit gewinnen, denn erst jetzt wird ihm klar, in welche Situation er sich begeben hat, daß ihm die Rückkehr in die Wirklichkeit um so schwerer werden muß, je weiter er dieses Gespräch fortführt.

»Sie haben übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Mann«, sagt Irmgard Lassehn. »So auf den ersten Blick …«

»Sie haben ihn ja wohl auch nur kurze Zeit gekannt?« fragt Lassehn.

»Hat er Ihnen das erzählt?« Irmgard Lassehn sieht ihn forschend an.

Lassehn nickt. »… da kann man ein Gesicht wohl bald vergessen«, fährt er fort, »auch wenn es einem acht Tage lang sehr nah gewesen ist.«

»Hat er Ihnen das auch gesagt?« fragt Irmgard Lassehn weiter. »Er weiß wohl auch nicht mehr, wie ich aussehe?«

Lassehn schüttelt den Kopf. »Er hat Sie mir oft beschrieben«, antwortet er, »ich glaube nicht, daß er Sie vergessen hat.«

Irmgard Lassehn lächelt ein wenig. »Eine Frau vergißt man nicht, auch wenn man nur acht



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